“All of you young people who served in the war. You are a lost generation. You have no respect for anything. You drink yourselves to death.” Gertrude Stein
Viele junge Amerikaner waren schon vor dem Kriegseintritt der USA nach Europa, in den ersten Weltkrieg gezogen, meist als Sanitäter für das Rote Kreuz oder andere NGOs, wie man heute sagen würde. Zusammen mit vielen jungen Europäern erlebten sie, wie die “Alte Welt” zusammenbrach und - wie es zunächst schien - allerorten endlich die Moderne sich mit Macht ihre Bahn brach - sei es durch den Umsturz der Monarchien wie in Deutschland, sei es durch kommunistische Revolution in Russland oder durch die Apotheose der Maschinen im italienischen Futurismus.
Voll Idealismus kehrten sie zurück, aber die erhoffte Revolution blieb aus. Überall wurden der Aufstand des Neuen niedergeschlagen - in München die Räterepublik grausam beseitigt, in Russland versank die Revolution im Bürgerkrieg und bald in unmenschlicher Diktatur, in Italien wurde aus dem Futurismus bald Faschismus. Und in den USA waren die ersten Nachkriegsjahre ebenfalls von heftiger Reaktion gekennzeichnet - Alkohol-Prohibition, Justizmorde und soziale Ungerechtigkeit, die scheinbar unverrückbar festzustehen schien. Wer in diese Zeit eintauchen möchte, dem seien die Werke von F. Scott Fitzgerald, G. Stein, J. Dos Passos, T. S. Eliot oder E. M. Remarque empfohlen.
Eine junge Generation wächst heran und erlebt, dass die Welt radikal anders sein kann; sie entwickeln ihre eigene Ethik - einen Kodex, wie die Menschheit glücklicher und gerechter leben können sollte, und für einen Moment scheint es ihnen, als ob es keine Utopie ist, sondern Wirklichkeit werden kann. Und dann fordert das alte System mit Macht die Loyalität ein; ein Kampf beginnt, an dem sie sich aufarbeiten und schließlich scheitern; erst die folgenden Generationen werden den Wandel tatsächlich erleben, die erste Generation aber ist verloren, aufgerieben.
Als die Sache mit dem Netz so richtig los ging, dachte ich: wir haben es geschafft; jetzt wird alles sich sogleich verändern; es kracht schon im Oberbau, bald kracht es auch im Unterbau … Fünfzehn Jahre Später sehe ich, wie so viele, die mit mir glaubten, ihnen seine Flügel gewachsen, die Federn gestutzt bekommen. Ob in der Politik, den Medien, ob in Kunst und Musik oder den Universitäten - wir haben alle, so scheint es, das Beharrungsvermögen der alten Machtstrukturen unterschätzt. “All right we are two nations.” beschreibt Dos Passos diesen Bruch durch die Gesellschaft, den wir heute “Digital Divide” nennen.
“Zynismus ist Herz mit negativem Vorzeichen.” Erich-Maria Remarque
“Unsere Leser sind noch nicht so weit.”, “Der Kunde versteht das nicht.”, “Die Mehrzahl unserer Wähler sind doch Senioren!” - um mich herum sehe ich einen meiner Freunde nach dem anderen scheitern, manche offen und mit lauter Klage, andere still resignierend, in innerer Emigration.
Vielleicht bin ich jetzt zu pessimistisch, aber das Ende von Julia Seeligers Blog Allerseelen auf faz.net ist für mich ein Menetekel.
“From the very nature of progress, all ages must be transitional.” Gertrude Stein
Wie vor hundert Jahren wird es “dem Esteblishment” nichts helfen, einen Untergang des Abendlandes verhindern zu wollen; zu weit ist die ökonomische Basis der Gesellschaft schon heute durch die Veränderungen der Netz-Welt geprägt. Was mich aber traurig macht, ist mit anzusehen, wie die ganze Avantgarde dieser Revolution zerrieben wird. (Dagegen zu arbeiten, ist für mich einer der Gründe gewesen, in die Piratenpartei einzutreten.)
Ich frage mich: Ist es “Schicksal”, dass wir genauso verloren gehen, wie die Lost Generation vor hundert Jahren? Können wir das nicht besser?
Der erste Schritt wäre, uns klarer über die Wirtschaftsmodelle der neuen Welt zu werden - nicht nur im IT-Bereich, wo, ausgehend von Silicon Valley, sich bereits ein frisches und unserer Zeit angemessenes Ökosystem entwickelt hat. Wie geht es aber weiter mit Kultur, Medien, Kommunikation? Was wird aus der Bildung? Hier denke ich, gibt es noch viel zu tun, bis wir auch wirtschaftlich in der digitalen Zeit angekommen sind. Die Gefahr ist groß, dass im Vakuum, das in der Auflösung der alten Wirtschaftsstrukturen ensteht, einige Unternehmen alles an sich reißen, was plötzlich scheinbar frei herumliegt. Die Ausbeutung öffentlicher Güter durch Google, Facebook oder Amazon wäre die Folge, wenn wir nicht selbst unsere Alternative Ordnung aufgestellt haben, bevor die alte Ordnung völlig kraftlos geworden ist.
Eines aber ist mir völlig klar - nicht erst, seit die FAZ ihr “Experiment” mit der @zeitrafferin beendet hat: die alten Strukturen bieten uns kein Obdach; der Preis, den wir dort für “Schutz” bezahlen müssen, ist zu hoch. Wenn wir uns nicht selbst helfen - und zwar jetzt, augenblicklich - werden wir eine verlorene Generation werden, und es ist mir wenig tröstlich, mir vorzustellen, dass man später auch über uns sagen wird: immerhin haben sie gute Bücher geschrieben.
Es rettet uns kein höh’res Wesen kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun Uns aus dem Elend zu erlösen können wir nur selber tun!
Declaration of Liquid Culture Die dititale Kluft Das Ende der Geschichte - für kreativ Berufe Die Moderne ist unsere Antike Non-Commodity-Production